60 Jahre Internationale Kurzfilmtage Oberhausen (1.-6.Mai 2014)
Eine kurze Geschichte des Festivals
Kulturfilmtage oder Kurzfilmtage?
Es begann 1954, als der Leiter der Oberhausener Volkshochschule, Hilmar Hoffmann, in Zusammenarbeit mit dem Filmclub Oberhausen, die 1. Westdeutschen Kulturfilmtage ins Leben rief – und damit das allererste Kurzfilmfestival der Welt.
Mit Inbrunst beschwor der damalige Oberstadtdirektor in seiner Eröffnungsrede die beiden Zwecke des Kulturfilms damals, “Volksbildung und Jugendpflege”. Zum bildungspolitischen Auftrag der Gründerzeit gesellte sich rasch das Motto “Weg zum Nachbarn” mit seinen sozialpädagogischen und diplomatischen Komponenten, das 1958 eingeführt wurde. Das Festival – 1959 umbenannt in “Kurzfilmtage” – machte sehr bald politische Furore: Filme aus dem “Ostblock” konnte man nur in Oberhausen sehen, ein Umstand, der mit Sicherheit zum raschen Aufstieg der Kurzfilmtage und zu ihrem Ruf als “Mekka des Kurzfilms” beitrug. Doch nicht nur der “Ostblock” beteiligte sich: In den 50er Jahren sah man in Oberhausen Arbeiten von jungen Filmemachern wie François Truffaut, Norman McLaren, Alain Resnais, Bert Haanstra und Lindsay Anderson. Schon beim vierten Festival 1958 waren 29 Länder im Programm vertreten.
Befreiungsschläge
In den frühen 60er Jahren erlebte Oberhausen seinen ureigenen Bruch mit den Konventionen, als 1962 das Oberhausener Manifest verkündet wurde. Im Gegensatz zum Mythos riefen die jungen Filmemacher, unter ihnen Alexander Kluge, Peter Schamoni und Edgar Reitz, nicht “Opas Kino ist tot!”. Sie erklärten vielmehr den alten Film für tot, verkündeten ihren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen – und beeinflussten so die deutsche Filmlandschaft auf Jahrzehnte hinaus.
Auch im Kurzfilm waren die 60er Jahre das Jahrzehnt der Befreiung von Konventionen, und nirgends war dies so deutlich zu sehen wie in Oberhausen, das in seiner Geschichte konstant das Bestehende hinterfragt hat und so dem Neuen gegenüber immer offen bleiben konnte. Oberhausen zeigte in den 60er Jahren Arbeiten von jungen Filmemachern wie István Szabó, Roman Polanski, Martin Scorsese, Agnès Varda oder Werner Herzog, von Stan Brakhage, Chris Marker oder Dore O. Das Jahrzehnt gipfelte 1968 im Skandal um Hellmuth Costards Film “Besonders wertvoll”, in dem ein sprechender Penis Kritik am 1967 neu aufgelegten Filmförderungsgesetz übte. Die Festivalleitung nahm aufgrund eines Einspruchs der Staatsanwaltschaft den Film aus dem offiziellen Programm, woraufhin die deutschen Filmemacher geschlossen ihre Arbeiten aus dem Festival zogen und in Bochum zeigten. Die Kurzfilmtage wurden zum “Prüfstein ihrer selbst”, wie Hilmar Hoffmann in seinem Festivalbericht schrieb, und gingen mit geändertem Reglement (unabhängige Auswahlkommissionen, öffentliches Auswahlverfahren für deutsche Filme) aus der Krise hervor.
Der Staub legt sich
Der “Megatrend” dieses Jahrzehnts, eine zunehmende Politisierung der Kunst, schlug sich auch im Kurzfilm nieder. Ein weiteres großes Thema war die Frauenbewegung – junge Filmemacherinnen wie Chantal Akerman oder Helma Sanders-Brahms zeigten ihre ersten Filme in Oberhausen. Mit dem Kinderkino führten die Kurzfilmtage 1978 eine neue Festivalsektion ein. Die 70er Jahre sahen außerdem eine Welle von Festivalneugründungen: aus den Kinos verdrängt, fand der Kurzfilm neue Abspielformen im Festivalbereich.
In den späten 80er Jahren war die Entwicklung der Kurzfilmtage eher geprägt durch die stufenweise Integration von Videoarbeiten und den Neuen Medien. Mit dem Wegfall des Ost/West-Konflikts, der die ersten Jahrzehnte des Festivals geprägt hatte, verblasste Oberhausens Rolle als “Fenster zum Osten” endgültig. In den Vordergrund rückte nun das Profil des Festivals als Sucher des Neuen, Unbekannten, als Mittler und Wegbereiter zwischen Kurzfilm und Werbung, Musikvideos, Industriefilmen und Kunst – oft sehr verkürzt unter dem Sammelbegriff “Avantgarde” zusammengefasst.
Videokunst und Digitalisierung
Heute hat sich in Oberhausen ein sehr offenes Konzept vom kurzen Format durchgesetzt. Das Festival zeigt Kurzfilme und Videos von unterschiedlichster formaler, kultureller und sozialer Herkunft. Große, thematisch angelegte Sonderprogramme nehmen seit den späten 90er Jahren aktuelle gesellschaftliche oder kulturelle Fragen auf, zuletzt Flatness in 2013 und Memories Can’t Wait – Film without Film in 2014. Sie reflektieren die veränderte politische Haltung des Festivals ebenso wie die Vielfalt der zunehmend digital produzierten kurzen Form, mit der ein Thema so facettenreiche, pointiert und abwechslungsreich behandelt werden kann, wie es längere Formate einfach nicht gestatten.
In den letzten zehn Jahren vor allem haben sich die Kurzfilmtage darüber hinaus immer mehr für Arbeiten aus dem Kunstkontext geöffnet, sowohl in den Wettbewerben wie auch in Profil-Programmen und Werkschauen einzelner Künstler. Zu den Filmemachern, die hier ihre frühen Filme zeigten, gesellten sich Künstler wie Eija-Liisa Ahtila, Christian Boltanski, Robert Frank, Isaac Julien, Pipilotti Rist, oder die Turner-Preis-Gewinnerin 2013, Laure Prouvost.
In Oberhausen findet man heute Videokunst, Musikvideos, Performances, Installationen, Diskussionen, Seminare – und natürlich, wie seit 60 Jahren, die interessantesten Kurzfilme der nächsten Generation von Filmemachern aus aller Welt.
www.kurzfilmtage.de
www.facebook.com/kurzfilmtage
Oberhausen, 1. Mai 2014